Oper von Berthold Goldschmidt
Libretto von Martin Esslin nach „The Cenci“ von Percy Shelley
Musikalische Leitung: Jac van Steen, Philipp Armbruster
Inszenierung: Johannes Schmid
Bühne: Roland Aeschlimann
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer
Choreinstudierung: Granville Walker
Dramaturgie: Georg Holzer
Choreographische Mitarbeit: Adriana Naldoni
mit: Andreas Macco, Katharina Peetz, Christiane Kohl, Ileana Mateescu, Christian Sist, Christoph Strehl, Karl Heinz Lehner, Wen Wei Zhang, Hannes Brock, Lucian Krasznec, Georg Kirketerp, Christian Pienaar, Hans-Werner Bramer
Opernchor des Theater Dortmund
Statisterie des Theater Dortmund
Premiere: 26. Mai 2012, 19:30 Uhr, Opernhaus
Das Rom der Spätrenaissance ist ein gefährlicher Ort. Der Papst und seine Kardinäle herrschen unbeschränkt, alles ist ihrer Willkür ausgeliefert. Recht ist käuflich, Macht über andere nur eine Frage der Finanzen. In einem solchen Sumpf kann ein Verbrecher wie der Graf Francesco Cenci gedeihen. Cenci ist grausam, gierig, gewalttätig und von krankhaftem Geiz. Jeden, der ihm im Weg steht, lässt er töten, und wenn es die eigenen Söhne sind. Doch solange er genug Geld hat, sich von seinen Untaten frei zu kaufen, wird er nicht belangt. Seine Tochter Beatrice und seine zweite Frau Lucrezia leben im Palazzo Cenci wie in der Hölle. Lange wagen sie es nicht, sich gegen die Brutalität zu wehren, bis Graf Cenci das letzte Tabu bricht und seine Tochter vergewaltigt. Nun wird ein Mordkomplott geschmiedet. Cenci stirbt, aber seine Mörder werden entdeckt, Beatrice wird zum Tode verurteilt. Trotz aller Gnadengesuche muss sie sterben. Aufrecht und mutig geht sie aufs Schafott und wird nach ihrem Tod die Heldin des geknechteten Volks von Rom.
Berthold Goldschmidt (1903-1996) war Schüler von Franz Schreker und eines der größten Talente im deutschen Musikleben der 1920er Jahre. 1935 emigrierte er nach London, wo er nach dem Krieg eine Laufbahn als gefeierter Dirigent einschlug, der sich vor allem für die Werke Gustav Mahlers einsetzte. Goldschmidt gehört zu den „doppelt verfemten“ Komponisten: Als Jude aus Nazi-Deutschland vertrieben, fiel er später bei der Avantgarde in Ungnade, die seine der Spätromantik verpflichtete Musik nicht schätzen konnte. Inzwischen gilt Goldschmidts farbige, orchestersatte und hochdramatische Kompositionsweise wieder als Geheimtipp für das Musiktheater. Seine zweite und letzte Oper Beatrice Cenci, die auf einem Theaterstück des englischen Romantikers Percy Shelley basiert, ist eine wertvolle Wiederentdeckung für unsere Opernbühne. Goldschmidt schrieb sie 1950 unter dem Eindruck der gerade erst überwundenen Willkürherrschaft in Deutschland, als Beispiel für Mut und Widerstand unter schwierigsten Bedingungen.
Presse
Dabei verdient doch insbesondere die nun in Dortmund zum zweiten Mal szenisch aufgeführte „Beatrice Cenci“, ganz unbedingt eine weitere Verbreitung, denn es handelt sich um packendes, großes Musiktheater. (…) Schmid, eher als Filmregisseur bekannt, hatte die undankbare Aufgabe, die Inszenierung kurzfristig von der an Burn-Out erkrankten Mannheimer Intendantin Regula Gerber zu übernehmen; Bühnenbilder und Kostüme waren da längst konzipiert. Roland Aeschlimann hat eine abstrakte, kubistische Säulenarchitektur geschafften, die variable Räume mit vielen Lichteffekten ermöglichte, und Andrea Schmidt-Futterer wieder einmal Kostüme von dezenter Opulenz entworfen, die eine dekadente Renaissance-Welt widerspiegeln. Sicherlich hätte sich auch eine Aktualisierung – insbesondere unter dem Gesichtspunkt von sexueller Gewalt in Familien – angeboten, doch auch in diesem zeitlos gültigen Ambiente gelang dem Regisseur eine stimmige Personenregie mit einigen drastischen Effekten. (…) Ein bemerkenswerter Opernabend.
(H. Walter in Das Opernglas 7/8 2012)
Die zwar gesanglich komponierte, aber doch anstrengende Titelpartie ist für Sopranistin Christiane Kohl eine Herausforderung, die sie hervorragend bewältigt: Sie vermag den verschieden Facetten ihrer Rolle stimmlichen Ausdruck zu verleihen. (…) Große Opern-Emotionen bot Beatrices Abschiedsgesang; ihr anrührendes Farewell war einer der musikalischen Höhepunkte. Dagegen treibt Andreas Macco als Francesco sein übles Spiel. (…) Sein agiler Bass lässt die Boshaftigkeit des Grafen lebendig werden; die Besessenheit der Figur wurde durch die sehenswerte Licht-Regie noch gesteigert. Der nach einigen Wirren erst kurzfristig eingesprungene Regisseur Johannes Schmid lässt die Akteure mit reduzierter Körpersprache agieren, so dass die wolllüstigen Ausschweifungen bei der Feier in Cencis Haus umso deutlicher hervortreten. Die Chordamen machen sich als Dirner über die Festgäste her; auch die kirchlichen Würdenträger sind eifrig dabei: Kardinal Camillo (wieder einmal stimmlich und schauspielerisch souverän: Christian Sist) ist Inbegriff einer korrupten Kirche; wie be alten Kleidungsstücken in einem Museum ist das Kardinalsrot seines Gewandes so verblichen wie die moralische Autorität der Kirche (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer). Der abstrakte Bühnenraum ist schwarz, weiße Säulen ragen hinein wie Gitterstäbe des familiären Gefängnisses, in dem sich Beatrice befindet. Dabei lässt Bühnenbildner Roland Aeschlimann die drei Akte jeweils eine Ebene tiefer spielen und deutet dabei auf den für Beatrice schicksalhaften Abwärtsstrudel hin. Goldschmidts Oper ist leicht fassbar. Sie lässt nicht kalt, es gibt keinen Leerlauf. Daran hat die intensive, weitgehend tonale Musik mit ihrem Klangfarbenreichtum einen großen Anteil: Der Chef (GMD Jac van Steen) dirigiert selbst, un die Philharmoniker lassen sich zu Höchstleistungen bringen, allen voran die stark geforderten Bläser. Eine Entdeckung, die sich lohnt!
(Burkhard Sauerwald in Westfälische Rundschau vom 29.05.2012)
Berthold Goldschmidts zweite und letze Oper ist nichts für zarte Gemüter: Es geht um Vergewaltigung, Folter, Mord und einen bitterbösen Vater. (…) Die Oper Dortmund wagte am Samstag die zweite Aufführung. Beatrice Cenci ist ein Opern-Tatort – ein schockierendes Werk, das große Brutatliät ausschüttet. Regisseur Johannes Schmid milderte die Grausamkeiten der starken Geschichte, indem er die Geschichte in Renaissance-Kostümen (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer) der Cenci-Zeit zeigte. Dadurch blieb die Szene etwas blass, bebilderte zwischen stilisierten, manchmal beleuchteten Säulen (Bühnenbild: Roland Aeschlimann) behutsam die Dramatik. Und das ist gut so! Musikalisch hat Goldschmidt die Grausamkeiten der Geschichte auch nicht dramatisch überspitzt, zeigt dafür aber sehr eindrücklich die verschiedenen Arten, mit Terror umzugehen. (…) Goldschmidts Musik klingt spätromantisch, die Dortmunder Philharmoniker lassen sie unter der Leitung von Jac van Steen packend, wie Krimi-Filmmusik klingen. Anschauen sollte man diese Oper unbedingt!
(Julia Gass in Ruhrnachrichten vom 29.05.2012)
Johannes Schmid, der die Regie relativ kurzfristig für die erkrankte Regula Gerber übernommen hat, hat sich entschieden, obwohl man die erzählte Geschichte als Reaktion des zur Emigration gezwungenen Komponisten auf das NS-Regime und Beatrices Mord am Vater letztendlich als Diktatorenmord lesen kann und die Parallelen mit den Themen „Gewalt in der Familie“ und „politische Unmoral“, bei der man sich durch Schmiergelder vor den gerechten Strafen drückt, bis in die aktuelle Gegenwart reichen, die Handlung im 16. Jahrhundert zu belassen, um dem Zuschauer selbst diese Assoziationen zu überlassen, was in doppelter Hinsicht lobenswert ist. Zum einen billigt es dem Publikum die vorhandene Intelligenz zu, selbst diesen Transfer leisten zu können. Zum anderen gibt es die Möglichkeit, ein Rarität, die in keinem gängigen Opernführer enthalten ist, in ihrem ursprünglichen Charakter kennenzulernen. Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer unterstützen in ihrem klassischen Schnitt diesen Ansatz (…). Das weiße Kostüm der Titelfigur unterstreicht dabei ihren Anspruch, ihre Tat als gerechtfertigt und sich selbst als unschuldig zu betrachten. Lukrezia wirkt in ihrem schwarzen Kleid wesentlich passiver und wäre in ihrer Trauer eigentlich bereit, sich ihrem Schicksal zu ergeben, wenn ihr Mann mit der Vergewaltigung der Stieftochter nicht eine ultimative Grenze überschritten hätte (…). Roland Aeschlimann hat ein recht abstraktes Bühnenbild entworfen, das vor allem mit unterschiedlichen Ebenen arbeitet. Einen wichtigen Bestandteil bilden dabei hohe, weiße und nach oben angeschrägte Quader, die in ihrer Form an Escher erinnern und entweder auf der Bühne eine Art Labyrinth darstellen können, das den Protagonisten jedweden Handlungsspielraum nimmt, oder drohend über der Szene schweben und damit ebenfalls andeuten, dass es aus dieser Hölle kein Entrinnen gibt. (…) Gesungen wird auf recht hohem Niveau. (…) Höhepunkt des Abends ist erneut Christiane Kohl, die mit hellem leuchtenden Sopran die Titelfigur zu einer Heldin avancieren lässt. In ihrer großen Arie im dritten Akt kurz vor ihrer Hinrichtung präsentiert sie Beatrice in einer solchen Reinheit, dass sie musikalisch wahrscheinlich von jedem Gericht der Welt freigesprochen worden wäre. Auch der von Granville Walker homogen einstudierte Chor liefert eine musikalisch und darstellerisch überzeugende Leistung ab, wenn er sich im ersten Akt den Ausschweifungen auf Cencis Fest hingibt und im dritten Akt im anrührenden „Requiem“ die Hinrichtung beklagt. (…) Fazit: Auch wenn dieses Werk aufgrund seines mangelnden Bekanntheitsgrades vielleicht nicht gerade ein Kassenknüller werden kann, sollte man sich diese Produktion wirklich ansehen, um sich von der Qualität der Dortmunder Oper zu überzeugen!
(Thomas Molke auf Online Musik Magazin, www.omm.de)
Nun nahm sich das Theater Dortmund das Werk vor. Eine mutige Tat, die aber von Erfolg gekrönt scheint. Es wurde eine freundlich aufgenommene Aufführung, dicht und stark in allen Komponenten. Der Regisseur Johannes Schmid und seine Ausstatter Roland Aeschlimann (Bühne) und Andrea Schmidt-Futterer (Kostüme) schufen eine bildsstarke Inszenierung, der es weder an Aktion noch an Spannung mangelte. Ganz stark war ein Großteil der Sänger. Herausragend gestaltete die jugendlich-dramatische Sopranistin Christiane Kohl die Titelpartie. Sehr beeindruckend, wie sie die schwierige Partie gesanglich und darstellerisch bewältigte. Mit markantem Heldenbariton und gestalterischer Präsenz war Andreas Macco ein bedrohlicher, gefährlicher Francesco Cenci. Katharina Peetz (Lucrezia) und Ileana Mateescu (Bernardo) überzeugten mit schönen Stimmen.
Auf gutem Niveau waren alle weiteren Rollen besetzt. Ein erfreuliches Wiedersehen gab es mit Karl-Heinz Lehner (Marzio), der in den Intendanzen von John Dew und Christine Mielitz in vielen Rollen erfreute. Stark gefordert war der Chor und das Ergebnis war optimal (Einstudierung: Granville Walker). Mit viel Feingefühl und großem Engagement animierte GMD Jac van Steen die Dortmunder Philharmoniker zu klangvollem Musizieren. Viel Beifall und ein paar zarte Buhs gab es nach der Vorstellung im leider nicht gut besuchten Haus.
(Kultur im Netz: www.ioco.de)
Johannes Schmid schlägt bei seiner Regie einen gefühlt richtigen Weg ein. Er versucht nicht, den Zuschauern eine übergestülpte Interpretation zu präsentieren, sondern bleibt ebenso subtil wie Goldschmidt bei seiner Stoffwahl. Verstärkt durch das großartige abstrakte Bühnenbild von Roland Aeschlimann, lässt er der Geschichte ihren natürlichen Lauf und überzeugt mit einer dezenten Personenführung. Die Bühne wird von senkrecht fahrbaren plastisch-eckigen Röhren dominiert, die in einer sprechenden und pointierten Lichtgestaltung von Stefan Schmidt den letzten Schliff bekommen. Es gefällt, dass die Bühne so abstrakt bleibt und trotzdem eine breite Interpretationsfläche bietet. Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer verweisen auf das Rom der Spätrenaissance, lassen aber vor allem bei den männlichen Darstellern Fantasie mitspielen. So sind beispielsweise die eigentlich purpurfarbenen Kardinalstalare schmutzig-ausgewaschen und zeigen damit dezent die dreckige Rolle der katholischen Kirchenmänner auf. Insgesamt wird an diesem Abend eine großartige musikalische Leistung geboten. Allen voran die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Philip Armbruster, die den überraschenden Farbenreichtum der dramatisch aufgeladenen Musik Goldschmidts nur so aus dem Graben perlen lassen. Der Chor, einstudiert von Granville Walker, schafft es sowohl schallend als auch sanft zu überzeugen. (…) Die Partie der Beatrice bietet für den dramatischen Sopran eine Chance zu glänzen, was Christiane Kohl mehr als gelingt. Auch darstellerisch mimt sie überzeugend die standhafte junge Frau. (…) Andreas Macco als Graf Cenci zeigt einen sehr agilen Bass und gutes, also böses Spiel. Kardinal Camillo wird von Bass Christian Sist ansprechend gesungen und passt mit seiner riesigen Statur gut in die Rolle des unheilvollen Kirchenvertreters. Auch die Nebenpartien sind sehr gut besetzt, Lichtblicke sind Tenor Lucian Krasznec als Sänger beim Fest/Arbeiter und Bass Karl Heinz Lehner als Mörder Marzio. Die wenigen Anwesenden versuchen das fehlende Publikum wett zu machen, applaudieren laut und bedanken sich damit für einen in vielerlei Hinsicht emotionalen Opernabend.
(Miriam Rosenbohm auf Opernnetz.de zur Aufführung vom 09. Juni 2012)