Singspiel von Wolfgang Amadeus Mozart
Musikalische Leitung: Otto Tausk, Attilio Tomaselli
Inszenierung: Johannes Schmid
Ausstattung: Michael S. Kraus
Choreographische Mitarbeit: Jasmin Hauck, Cecilia Wretemark
Choreinstudierung: Michael Vogel
Dramaturgie: Serge Honegger
mit: Jennifer O’Loughlin/Netta Or, Alison Trainer, Roman Payer, Levente Pall/Wade Kernot, Nik Kevin Koch und Michael Ransburg
Chor des Theaters Sankt Gallen
Theatertanzschule Sankt Gallen
Sinfonieorchester Sankt Gallen
Theater Sankt Gallen, Grosses Haus
Premiere: 13. September 2014, 19:30 Uhr
Presse
Es war einmal eine Zeit, da machte der Orient nicht nur als Kriegsschauplatz Schlagzeilen, sondern galt dem Abendland als Sehnsuchtsort. Scheherazades Geschichten aus Tausendundeiner Nacht haben die Phantasien angeregt und den Westen vom Zauber des Ostens träumen lassen. Von dieser ach so fernen Zeit erzählt die Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts «Entführung aus dem Serail» am Theater St. Gallen. Michael Kraus hat dafür eine schlichte Bühne mit beweglichen Elementen geschaffen, deren abstrakte Ornamente im nuancenreichen Licht von Andreas Enzler einen hohen ästhetischen Genuss gewähren und eine exotische Traumwelt evozieren. Dass Johannes Schmid auf dieser Folie klug und ganz aus der Musik heraus inszeniert, macht gleicht die Ouvertüre deutlich. Während zu Beginn der Bassa Selim über allem schwebend die übrigen Protagonisten der Oper erwartet, tanz im mittleren, langsamen Teil, der den Auftritt von Belmonte musikalisch vorwegnimmt, die verstaubte höfische Rokokogesellschaft ein Menuett. Koboldhafte Seeräuber bringen im schnellen Teil die Europäer in ihre Gewalt. (…) Mit dem Sinfonieorchester St. Gallen schlägt Tausk einen leichten und hellen Mozart-Ton an, geschmeidig und farblich fein ausdifferenziert, der in den Janitscharenmusiken auch einigen Sog entwickelt. (…) Wenn nun also Roman Payers edler Belmonte vor Bassa Selims Landhaus steht, umweht ihn die zopfige und formelle Rokokoatmosphäre, die so gar nicht zum Traum des Orients passen will, in dem die Konturen klarer Lebnesentwürfe bald verschwimmen. (…) „Bist du es noch?“ wird Belmonte Konstanze später fragen. Zu Recht, denn in diesem Gefühlslabor, in das Belmonte bald eingemeindet ist, wird einiges experimentiert, werden Formen der Liebe und des Begehrens ausprobiert. Am forschesten von Alison Trainers draller Blonde. Sie verbindet für sich das beste beider Welten, wenn sie nach vorangehendem Geplänkel schliesslich mit Osmin im Harem verschwindet. Das hat zwar seine plakativen Seiten, die jedoch nie dominant werden. Indem die Regie mit Witz immer wieder den Singspielcharakter heraushebt, schafft sie die nötige Distanz zur real existierenden Welt und umschifft, auch durch entsprechende Striche in den Dialogen, allfällige politische Untiefen. So fliegen dem Osmin von Levente Pall nicht nur des einnehmenden Basses wegen die Sympathien zu. Wie er bei seinem ersten Auftritt Blondes rote Stilettos liebevoll pflegt, zeigt nicht den Wüstlich, sondern einen empfindsamen jungen Mann, dessen Gefühle gewaltig in Aufruhr geraden sind. (…) Aber auch von Konstanze. Obwohl Jennifer O’Louglin ihren Kummer (…) mit der ganzen Kraft ihres leuchtenden Soprans herzerweichend besingt, ist es nicht nur Selims Großzügigkeit, die sie berührt. Dass der Ausgang aus diesem Möglichkeitsraum der Gefühle nicht einfach ein Happy End sein kann, macht Selim beim abschließenden Urteil klar. Eindringlich mit analytischer Schäfte, gibt der Bassa Selim von Michael Ransburg seiner Verachtung für Belmonte und das eindimensionale Denken seiner Familie Ausdruck. Bei Konstanze indes wässert er noch einmal den Keim des Zweifels über ihren Entscheid zugunsten Belmontes. Doch Glück für Osmin: Die ihm wohlgesinnte Regie gibt ihm weiterhin eine Chance und lässt ihn Blonde und Pedrillo hinterhereilen.(Jürg Huber in: Neue Zürcher Zeitung vom 18.09.14)
Regisseur Johannes Schmid verzichtet in wohltuender Weise sowohl auf harmlose, betulich-biedere Exotik, als auch auf unpassende Aktualisierungen oder vordergründigen Macho-Sexismus, sondern legt die Handlung als Prüfungen der Liebe an. (…) Jennifer O’Laughlin erfüllt die grossen Arien der Konstanze mit wunderbar empfindsamer Melancholie und wahrhafter Traurigkeit. Ihre herrlich bruchlos geführte, warm gefärbte Stimme berührt in den sanften Kantilenen und stürzt sich dann mit blitzsauberen Attacken in die schnellen Läufe und Koloraturen. Ihrem Verlobten Belmonte werden Prüfungen erotischer Art zwar erspart, doch muss er die nagenden Zweifel der Eifersucht und des Misstrauens in seiner Seele bändigen. Roman Payer singt ihn mit wunderschön timbriertem, ausgezeichnet fokussiertem Tenor. Seine Arie O wie ängstlich, o wie feurig gerät zu einer musikalischen Sternstunde. (…) Alison Trainer und Nik Kevin Koch erweisen sich als echte Komödianten, agieren mit Lust und Schalk – ohne zu chargieren. (…) Otto Tausk leitet die Aufführung mit sicherer Hand und einem einfühlsamen Gespür für auf die Möglichkeiten der Solisten angepasste Tempi. An vielen Stellen entlockt er dem Sinfonieorchester St.Gallen bestechend vielfältig oszillierende Farben (z.B. Einleitung zur Martern-Arie) und sorgt für ein lichtes, unaufdringliches Klangbild aus dem Graben. Doch halt, da war doch noch einer: OSMIN. Der junge ungarische Bass Levente Páll singt und spielt sich mit seinem Liebesleiden und mit seiner fantastisch wohlklingenden Bassstimme von Anfang an in die Herzen des Publikums.
(Kasper Sannenmann auf www.oper-aktuell.info)